Dieser Text ist ein Repost und zuerst erschienen auf piqd.de und torial.com am 20.03.2022
Alles scheint zu stimmen an diesem Video und doch stimmt gar nichts: Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyi ist zu sehen, im typischen olivgrünen Shirt. Er ruft angeblich seine Truppen auf, die Waffen niederzulegen. Das Video ist ein Deepfake – und nur ein Beispiel von vielen, das zeigt:
Der Ukrainekrieg ist auch zu einer Propagandaschlacht zwischen Russland und der Ukraine geworden. Im Internet findet ein erbitterter Kampf um die Deutungshoheit statt, auch mit schmutzigen Taktiken. Desinformation als Mittel der hybriden Kriegsführung – das stellt Journalist:innen, die über den Konflikt berichten, vor zusätzliche Herausforderungen.
Egal ob Brexit oder der US-Wahlkampf: Russische Trolle sind schon seit Jahren aktiv und richten ihr Unheil an. So griff etwa die Internet Research Agency, eine russische Trollfarm, im Auftrag Moskaus nach heutigen Erkenntnissen zugunsten Donald Trumps in den Wahlkampf ein.
Möchte man das Thema auf eine Person herunter brechen, kann man das am Fall der ukrainischen Influencerin Marianna Podgurskaya tun. Sie wurde beim Beschuss einer Geburtsklinik in Mariupol verletzt. Die russische Seite unterstellte der blutenden Schwangeren, deren Foto in zahlreichen Medien veröffentlicht wurde, ihre Verletzungen seien gestellt. Angefacht von Online-Trollen stürzten sich Nutzer:innen auf das Instagram-Profil der Frau. Laut der Journalistin Olga Tokariuk hat Podgurskaya mittlerweile ein gesundes Kind zur Welt gebracht.
Etwas hilflos versucht sich die EU gegen Putins Propaganda zu wehren, indem sie die Verbreitung russischer Staatsmedien wie RT oder Sputnik verboten hat. Russland auf der anderen Seite blockiert unabhängige Nachrichtenangebote und Apps wie Facebook, Twitter oder das in Russland überaus beliebte Instagram.
Doch das reicht wohl kaum aus. Der Informationskrieg wälzt sich längst vor allem durch soziale Netzwerke wie Instagram und Tiktok. Der New Yorker schrieb vom „ersten Tiktok-Krieg“ der Geschichte. Russische Influencer riefen auf Tiktok jüngst in ähnlich lautenden Statements zu Verständnis für das russische Vorgehen auf.
Gleichzeitig gelingt es Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyi, mit seinen Selfievideos und markanten Online-Ansprachen, viele Unterstützer:innen zu erreichen. Als „Churchill in der Fleecejacke„, wie der SPIEGEL ihn nannte, adressiert er eine Online-Weltöffentlichkeit.
Auch die aktuelle US-Regierung um Joe Biden mischt mit und briefte kürzlich mehrere Tiktoker zum Krieg, um die US-Sicht der Dinge vertreten zu wissen auf der Plattform – und als Bemühung gegen russische Desinformation.
Apps wie Tiktok mögen der perfekte Orte für Video-Fakes sein. Es gibt keine Datumsanzeigen, Video-Remixe gehören zur Inhalte-DNA und eine junge Zielgruppe wartet auf emotionalisierte Inhalte. Platz für Kontext ist kaum.
Der Kampf gegen Desinformation ist nur zu gewinnen, wenn die Plattformen stärker dagegen vorgehen. Und selbst dann bleibt es eine Sisyphusarbeit. Soziale Medien zu verdammen, wäre aber der falsche Weg. Tatsächlich waren es auch Tiktok-Videos, die früh Aufschluss über erste Truppenbewegungen gaben.
Sei mal nicht so negativ!
Mit dem Bonn Institute gibt es jetzt ein Zentrum für konstruktiven Journalismus in Deutschland. Ellen Heinrichs gab am 11. März 2022 auf Twitter den Startschuss. Gesellschafter sind RTL, Deutsche Welle, Rheinische Post und das dänische Constructive Institute, berichtet Meedia und interviewt die Gründerin und Geschäftsführerin Heinrichs. Sie sagt:
Wir wollen ein konstruktives Mindset fördern. Dazu gehört, neben Problemen auch mögliche Lösungen kritisch zu recherchieren. Dazu gehört auch, eigene Sichtweisen und Werte zu reflektieren und sich zu fragen, ob in der eigenen Redaktion vielleicht wichtige Perspektiven fehlen – Perspektiven, die für die eigene Zielgruppe aber relevant sein könnten. Und dazugehört, nicht reflexhaft nach Gegensätzen zu suchen, sondern bewusst und konstruktiv Debatten zu inititeren und zu moderieren.
Ellen Heinrichs bei Meedia
Erste Medienhäuser hätten bereits Interesse an einer Zusammenarbeit angemeldet, konkrete Projekte nennt Heinrichs aber noch nicht.
Tschüss Homeoffice-Pflicht, hallo FOMO?
Virtueller Kaffee statt Kollegenschnack am Automaten, digitales Onboarding im neuen Job und jede Menge Video-Calls: So sieht der Arbeitsalltag für viele in der Coronapandemie aus, zahlreiche Journalist:innen eingeschlossen. Die Pandemie hat viele Unternehmen endlich zum Umdenken gezwungen und verknöcherte Arbeitsstrukturen aufgebrochen. Siehe da, es läuft auch, wenn man den Mitarbeiter:innen mehr Freiheiten zugesteht und sie im Mobile Office machen lässt.
Die Homeoffice-Pflicht ist gefallen zum 20. März. Doch die Arbeitswelt ist digitaler geworden. Mit dem Wegfall zahlreicher bisher geltender Schutzmaßnahmen bieten sich neue Möglichkeiten, endlich wieder Veranstaltungen zu planen, Kolleg:innen zu treffen, Kontakte zu knüpfen.
Erlaubt ist also vieles wieder. Doch ich frage mich: Will und kann auch jede:r wieder mitmachen? Oder führt die neue Übergangsphase zu einer weiteren Spaltung zwischen denen, die auf Konferenzen networken und in die Büros zurückströmen und jenen, die immer noch vorsichtig sein müssen aufgrund von Risikogruppen in der Familie, umgeimpften Kindern, oder schlicht weil sie selbst besonders gefährdet sind?
Eine der ersten großen Konferenzen, die in diese Phase der neuen Offenheit gefallen ist, war die South by Southwest (SXSW) vom 11. bis 20. März in Austin, Texas. Zugang gab es für Geimpfte oder Getestete, das Maskentragen wurde laut der Corona-Richtlinien der Konferenz „stark unterstützt“.
Der Bundesstaat, eine Hochburg der Republikaner, ist bekannt für seine Freiheitsliebe. Der Wegfall der Maskenpflicht in Innenräumen scheint dort vielerorts besonders begeistert umgesetzt zu werden. Ich war nicht vor Ort, aber was ich digital mitbekommen habe, hat mich nachdenklich gestimmt. Viele Teilnehmer:innen waren offenbar ohne Masken unterwegs, in vollen Räumen.
Ein fester Termin für viele Journalist:innen in Deutschland dürfte die re:publica vom 8. bis 10 Juni 2022 in Berlin sein. Will ich dieses Jahr beim „Klassentreffen“ live dabei sein? Habe ich sonst FOMO, fear of missing out? Noch kann ich diese Fragen nicht beantworten. Das Motto ist übrigens: „Any way the wind blows.“