Zu Tisch bei Fremden: Das Start-Up EatWith aus Israel bringt hungrige Reisende und gastfreundliche einheimische Köche zusammen. Ein Jerusalemer Sabbatessen, vermittelt übers Internet.
Ich stehe vor einer kleinen Holztüre in einem Hinterhof des Jerusalemer Markts Mahane Yehuda und klopfe hungrig. Hinter der Tür erwartet mich mein Abendessen. Genauer gesagt mein Sabbat-Dinner, ein traditionelles, festliches Mahl in jüdischen Haushalten. Wer mir die Tür öffnen wird, weiß ich noch nicht. Meine Gastgeber, Chen und Alon, kenne ich nur übers Internet.
Gefunden haben wir uns über die Dinner-Community EatWith. Eatwith ist ein Start-Up zweier Freunde, Guy Michlin und Shemer Schwarz. Ihre Idee: Beim Essen knüpft man als Reisender am schnellsten Freundschaften. Sie wollen Menschen, die neu in einer Stadt sind, vielleicht als Tourist, vielleicht als Geschäftsreisender, zusammenbringen mit Einheimischen, die den Gästen einen Einblick geben in ihren Alltag, ihre Esskultur.
Im Grunde funktioniert die Seite wie Airbnb, nur eben für Essen
Das israelische Start-Up wächst. Vermittelt werden längst nicht mehr nur Essensverabredungen in Städten wie Jerusalem oder Tel Aviv, sondern auf der ganzen Welt. In Deutschland sind Berlin und Köln schon dabei.
Menschen verabreden sich übers Netz zum Essen und entdecken neue Rezepte und finden neue Freunde oder bekommen zumindest für ein Essen lang Einblick in das Leben von völlig Fremden: Diese Idee, die auch Eatwith verfolgt, hat sich in zahllosen kommerziellen und nicht-kommerziellen Essensbörsen im Netz niedergeschlagen. Im Grunde funktioniert die Seite wie Airbnb, nur eben für Essen. In München treffen sich Studenten zum Beispiel über die Tablesurfer-Community. Keiner muss zahlen, dafür ist jeder in der zusammengewürfelten Runde einmal Gastgeber und bekocht die anderen. Bei Eatwith bucht man jedes Essen zu einem vom Gastgeber festgesetzten Preis, die Plattform bekommt davon einen Anteil ab.
„Shalom“, ruft meine Gastgeberin aus der Küche.
Die Jerusalemer Türe, an die ich geklopft habe, öffnet sich in Sekunden. Ich bin etwas nervös. Ich bin keine Jüdin und kenne die Gebräuche und Traditionen des Sabbatessens nicht. Noch dazu bin ich Vegetarier. Werden die Gastgeber es als Affront auffassen, wenn ich bestimmte Speisen nicht essen kann?
Dann strahlt Alon mich an und bittet mich in die Wohnung. Seine Frau Chen streckt kurz den Kopf aus der Küche und winkt. „Shalom“, herzlich willkommen. Bisher war ich nur durch die engen Gassen des Machne-Yehuda-Marktes flaniert und habe bei den Händlern Granatäpfel, Gewürze oder eingelegte Oliven gekauft. Dass mitten im Markt auch Wohnungen sind, wusste ich nicht. Ich setze mich an den bereits gedeckten Tisch und schaue mich unauffällig um.
Chen und Alons Wohnung ist eigentlich nur ein einziger, hoher Raum. Eine kleine Wendeltreppe führt auf eine zweite Ebene, die etwa auf der Hälfte der Grundfläche eingezogen ist und nicht viel mehr Platz bietet als ein Hochbett. Dort schlafen die beiden. Alles ist vollgestellt mit Nippes, Büchern, gerahmten Familienfotos. An der Wand hängen zwei schwarze Hüte. Einer ist ein breitkrempiger Hut, wie ihn die Ultraorthodoxen tragen. „So religiös bin ich aber nicht“, erklärt mein Gastgeber, als ich ihn danach frage. „Ich finde den Hut einfach cool irgendwie. Und der zweite Hut ist mein Hochzeitshut, er erinnert mich immer an diesen Tag.“
Bevor es mit dem Essen losgeht, muss den jüdischen Traditionen Genüge getan werden. Es ist Freitagabend, der Tag des Sabbatessens. In vielen anderen jüdischen Haushalten im ganzen Land kommen gerade die Familien zusammen, um gemeinsam und mit jede Menge Essen nach dem Sonnenuntergang den Sabbat einzuläuten.
Vor dem Essen wird der Kiddush gesprochen, ein jüdischer Segensspruch
Chen und Alon und zwei weitere Freunde, die zum Essen gekommen sind, singen jüdische Lieder, dann verteilt Alon über eine hübsche Karaffe den Sabbatwein. Jeder bekommt ein kleines Gläschen. Mit erhobenem Glas spricht Alon den Kiddush, den Sabbatsegen, und bricht dann das traditionelle Challa-Brot in Form eines breiten Zopfes. Der Laib Brot wandert um den Tisch. Jeder bricht sich ein Stück ab und isst.
Dann trägt Chen jede Menge Köstlichkeiten aus der winzigen Küche, drapiert auf kleinen Schälchen und tiefen Tellern. Essen fotografieren ist verlockend, aber tabu. Mein Smartphone muss in der Tasche bleiben, aus Respekt vor meinen Gastgebern: Am Sabbat verwenden gläubige Juden keine Technik. Schon nach der Vorspeise bin ich so satt, dass ich das Hühnchen ohne großes Aufhebens an mir vorbeiziehen lassen kann, mit Verweis auf den Nachtisch.
Ich höre Chen zu, wie sie über ihre Arbeit als Köchin erzählt und versuche, dem Hebräisch der beiden eingeladenen Freundinnen zu folgen. Manchmal finde ich es als Ausländerin in Jerusalem ganz schön schwer, der Expat-Blase zu entkommen. An diesem Abend gelingt es mir.
„An unserem Tisch saßen schon Gäste aus der ganzen Welt“, sagt der Gastgeber stolz
Vor dem Essen hatte ich Bedenken, für ein privates Essen zu zahlen. Was, wenn die Gastgeber die Essen als Einnahmequelle sehen und gar nichts mit mir zu tun haben wollen? Aber Chen und Alon, beide in ihren Zwanzigern, sind so herzlich, dass sich meine Sorgen schnell zerstreuen. „Wir finden es einfach interessant, neue Menschen zu treffen. An unserem Tisch saßen schon Gäste aus der ganzen Welt, und jeder hatte eine spannende Geschichte zu erzählen“, sagt Alon. „Ich finde es nicht schlimm, ein wenig Geld zu verlangen. Lebensmittel sind so unglaublich teuer in Israel.“
Er fragt mich über Deutschland aus. Chen will mehr über die deutsche Küche wissen, sie hat wenig Gutes gehört, sagt sie. Eigentlich will ich nur einen Bissen Nachtisch essen, aber dann kommt Chen mit einer Nuss-Tarte aus der Küche. Ein Rezept ihrer tunesischen Vorfahren, sagt sie, dass sie heute Abend zum ersten Mal ausprobiert habe. Ich esse, bis ich fast platze. Spät am Abend verabschieden wir uns. Ich verspreche, bei Chen und Alon zu klopfen, wenn ich mal wieder auf dem Markt unterwegs bin.
Hinweis: Der Text ist zuerst auf netzpiloten.de erschienen.
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