Der Mindestlohn für Praktikanten würde im Journalismus neue Ungerechtigkeiten schaffen, schreiben Jana Gioia Baurmann und Alina Fichter in der aktuellen Ausgabe der Zeit. Sie freuen sich, dass in letzter Sekunde eine Ausnahme vereinbart wurde – das sei ein großes „Glück“ für angehende Journalisten. Von wegen! Die Argumentation hinkt und blendet wichtige Aspekte aus.

Schnelligkeit, Sorgfalt, gute Schreibe: Das sind nur ein paar Anforderungen an Praktikanten im Journalismus. Eine weitere Tugend kann dem journalistischen Nachwuchs offenbar auch nicht schaden: Dankbarkeit. Diesen Eindruck habe ich bekommen, als ich den Text „Rein in die Absolventenfalle“ (welche Falle eigentlich?) der Zeit gelesen habe.

Die beiden Autorinnen heißen es darin gut, dass für journalistischen Nachwuchs eine Ausnahmeregelung vom Mindestlohn vereinbart wurde. Für Praktika unter drei Monaten, die während des Studiums absolviert werden, muss kein Mindestlohn gezahlt werden. Ein „Glück“ für junge Schreiber, so die Zeit. Denn: Die Medienhäuser hätten dann weniger der jetzt schon heiß begehrten Praktikantenstellen angeboten – mit dem Wunsch nach einer angemessenen Bezahlung schneidet sich der Nachwuchs also ins eigene Fleisch, ist letztlich das Argument hinter dieser Aussage.

Wer Journalist werden will, muss offenbar schon froh sein, die Chance zu bekommen, für Zeitungen oder andere Medien schreiben zu dürfen. Jedes Praktikum ist immer ein Austausch: Der Praktikant wird eingelernt und betreut und bekommt Arbeitserfahrung, dafür nimmt man schon in Kauf, dass trotz Vollzeitarbeit kein „echtes“ Gehalt rauskommt. Aber in Branchen wie dem Journalismus ist dieses Tauschgeschäft aus der Balance gekommen, auf Kosten der Praktikanten. Es haben sich unverschämte Vertragsbedingungen etabliert, angefangen beim Bewerbungsverfahren.

Im Schnitt kriegen Praktikanten etwa 300 Euro, mit Mindestlohn wäre es deutlich mehr, nämlich 1500 Euro. Klar ist das deutlich mehr Geld, das die Verlage hinblättern müssten. Dabei geht es, so der Artikel mitleidvoll, „teils um die Existenz“. Gemeint ist natürlich die Existenz der Verlage.

Gegenfrage: Und was ist mit meiner Existenz?

Von 300 Euro kann kein Student seine Miete zahlen, sich Essen kaufen. Da müssen dann Mama und Papa einspringen, alles kein Problem. Aber was ist die Konsequenz daraus? Ohne Praktika hat man keine Chance, sich im Journalismus zu etablieren. Wer sich also die Praktikumszeit nicht leisten kann oder irgendwie finanziert bekommt, kann also auch nur schwer Journalist werden. Mit einem achselzuckenden „Dann sollen sie es halt lassen“ ist das Problem nicht vom Tisch. Denn die Situation ist schlecht für die Vielfalt in Redaktionen, die sowieso immer noch zu wünschen übrig lässt. Davon abgesehen sind es leider gerade oft die gut finanzierten Redaktionen, etwa der öffentlich-rechtlichen Sender, die ihren Hospitanten keinen einzigen Cent zahlen. Auch für mein Praktikum im Bundestag habe ich zum Beispiel damals kein Geld bekommen (dafür irgendeinen Kugelschreiber zum Abschied).

Besonders motivierte Studenten, die ein längeres Praktikum anstrebten, würden besonders benachteiligt, argumentiert der Text weiter und macht das an einem einzelnen Beispiel fest. Einem solchen Praktikanten müssten Medienunternehmen dann deutlich mehr zahlen. Genau das wäre aber richtig und angemessen. Viele Praktikanten, so meine eigene Erfahrung, werden bei entsprechender Erfahrung ähnlich wie Redakteure in der täglichen Arbeit eingesetzt. Wer ein halbes Jahr in einer Redaktion arbeitet, kennt sich aus mit den Abläufen. Betriebswirtschaftlich gesehen ist dieser Praktikant besonders wertvoll fürs Unternehmen. Warum sollte sich das NICHT in der Bezahlung widerspiegeln?

Wenn Praktikanten, wie im Zeit-Text beschrieben, tatsächlich ein wichtiger Talent-Pool für die Medienunternehmen sind, sollte das den Unternehmen auch etwas wert sein. Die Debatte um den Mindestlohn wäre eine gute Gelegenheit für die Medienbranche, die eigene Praxis der Nachwuchsrekrutierung zu überdenken – und auch die immer absurder werdenden Anforderungen an Praktikanten. Ja, vielleicht gäbe es weniger Praktikantenstellen. Die wären dafür dann fair bezahlt. Und vielleicht würden dann auch 2-3 Praktika für den Berufseinstieg wieder ausreichen.