Für Obdachlose ist das Internet sogar noch wichtiger als für Menschen mit einer festen Adresse.  Hier steht, warum.

An einem heißen Sommertag treffe ich Tobi, in den Redaktionsräumen des Hamburger Straßenmagazins Hinz und Kunzt. Tobi ist ein großer, hagerer Typ mit einem blauen Iro und Tattoos. Tobi ist so alt wie ich, 26.

Ich hänge ständig im Netz rum, lese, schreibe, schaue Netflix-Serien. Für Tobi ist das Internet genauso wichtig wie für mich. Als ich ihn danach frage, sagt er: „Mein Laptop ist mein wichtigster Besitz.“ Dann überlegt er kurz und korrigiert sich: „Zuerst kommt mein Hund Diego. Dann kommt das Laptop. Dann komme ich.“

Tobi nennt sich selbst ein „Straßenkind“. Er ist nach seinen Angaben mit 12 Jahren von daheim abgehauen, hat es nicht mehr ausgehalten bei seiner Mutter. Seitdem lebt er mehr oder weniger auf der Straße, macht Platte in Hamburg oder kommt mal für eine Weile bei Freunden unter.

Er erinnert sich noch gut an seine erste Nacht auf der Straße, vor einem Hamburger C&A. Er hatte sich einen dünnen Karton unter den Hintern geklemmt, wegen der Kälte des Bodens. Half nicht viel. Ein anderer Obdachloser sprach ihn an, teilte seine Informationen mit Tobi. Tobi ist auf der Straße erwachsen geworden, aber wie alle anderen Gleichaltrigen liebte er das Netz. Seinen ersten eigenen Computer bekam er mit sieben Jahren, schraubte ihn selbst zusammen. Er ist begeisterter Gamer, verdiente laut seinen Aussagen sogar von der Straße aus  Geld als professioneller Spieler von Online-Rollenspielen.

Sein weniges Geld vom Staat sparte er monatelang, um sich ein Smartphone, einen Surfstick von Tchibo oder Aldi leisten zu können. Er bekam ein gebrauchtes Laptop geschenkt. Er sagt: Sein größtes Problem: Strom. In vielen Tiefgaragen gibt es freie Steckdosen, an denen Obdachlose sich ihre technische Ausstattung aufladen können. Tobias ist als Gamer ein Extremfall, aber kein Einzelfall: Viele Obdachlose besitzen internetfähige Geräte, zumindest ein Smartphone.

Sollte Tobi sein Geld lieber anders investieren? In  einen schicken Anzug für ein Bewerbungsgespräch? Ist ein Obdachloser mit Technik ein dekadenter Schnorrer, dem es eigentlich doch ganz gut gehen könnte? Ich finde: nein. Tobis Leben auf der Straße ist hart. Daran ändert auch digitale Technik nichts. Er besitzt genau wie jeder andere Mensch das Recht, für sich selbst zu entscheiden, was er mit seinem Geld machen will. Für ihn sind seine Games eine tolle Freizeitbeschäftigung, über Facebook hält er Kontakt zu Freunden auf der ganzen Welt.

„Ich bin deswegen nie abgeschmiert, ich hatte immer etwas, womit ich mich beschäftigen kann“, sagt Tobi. Vielleicht war das Internet auch ein Fluchtpunkt für ihn, als er unter einer Brücke saß, mit dem Laptop auf dem Schoß.

Auf der Straße kommen manchmal auch dumme Sprüche, Tobi  hat eine große Klappe. Aber die Verachtung von außen kann auch einen wie ihn mürbe machen. Alle sehen nur den Obdachlosen, den Asi, den Punk. Im Netz bestimmt Tobi selbst, welche Seite er  zeigt von sich. Die Anonymität schützt ihn, vor Vorurteilen und mitleidigen Blicken. Freies WLAN ist selten in Deutschland, dank der Störerhaftung. Ich kann mich trotzdem einfach in einen Starbucks setzen und einen Kaffee schlürfen. Tobi kommt als Bittsteller, wird oft wieder rausgeworfen. Internet nur für zahlende Kunden. Ohne Internet, ohne E-Mail-Adresse gehört man heute erst recht nirgends dazu.

Hinweis: Wenn euch das Thema und auch die politische Perspektive interessiert, könnt ihr euch meinen TV-Beitrag für den „Elektrischen Reporter“ auf ZDFinfo ansehen, läuft Donnerstagabend, 10.9., im Fernsehen. Oder eine frühere Reportage auf Zeit Online zum Thema lesen.